| 24.10.2023
Artikel vom 02. September 2023, Text und Foto: Klaus Nikolei
Wesel: Warum Immobilienpreise massiv gesunken sind
Frau Berndsen, wer kauft eigentlich derzeit noch Gebrauchtimmobilien, wo doch die Zinsen mittlerweile bei vier Prozent liegen, Materialkosten und Handwerkerpreise stark gestiegen sind?
Jennifer Berndsen: Mittlerweile muss man ja froh sein, einen Kredit für vier Prozent zu bekommen. Teilweise werden schon fünf Prozent verlangt. Um Ihre Frage zu beantworten: Da sind zum einen die Best Ager, also die Gruppe der über 50-Jährigen, die sich nach dem Auszug der Kinder eine kleinere Doppelhaushälfte, ein Reihenhaus oder eine Eigentumswohnung kaufen. Ein Teil des Geldes haben sie ja – aus dem Verkauf ihres größeren Hauses. Und dann gibt es da die jungen Leute, die sich den Traum vom eigenen Zuhause erfüllen wollen, weil sie oft selbst in einem Eigenheim großgeworden sind.
Aber wie soll eine junge Familie die Kosten für den Kauf einer Immobilie tragen, die dann oft auch noch umgebaut werden muss?
Berndsen: Das ist heute tatsächlich kaum möglich. Ich nehme mal als Beispiel einen 28-Jährigen, der mit seiner Frau oder Freundin eine Familie gründen und gleichzeitig Eigentum erwerben will. Der kann normalerweise die 30 Prozent des Kaufpreises als Eigenanteil nicht vorweisen. Außer, wenn er das Geld von den Eltern bekommt oder jung irgendwie geerbt hat. Anders als in den drei Corona-Jahren, wo das Geld so billig war, dass man sich ein Haus auch zu 100 Prozent finanzieren konnte. Heute schickt ein Banker neun von zehn Interessenten ohne Kredit wieder nach Hause. Aber nicht, weil die Bänker böse oder so etwas sind, sondern weil sie rechnen können und feststellt, dass die Bewerber die Belastung einfach nicht tragen können.
Wenn aber die Kreditzinsen so hoch sind, können Verkäufer ja auch nicht mehr die Preise aufrufen, wie vor zwei oder drei Jahren.
Berndsen: Das ist so. Wir als Maklere haben derzeit die Aufgabe, den Auftraggeber aufzuklären, was seine Immobilie am Markt für einen Wert hat.
Da dürfte sich mancher sicher wundern, wie wenig er derzeit bekommt.
Berndsen: Ja. Da haben einige noch immer vollkommen überzogene Vorstellungen, nur weil der Nachbar mit dem kleineren Haus und dem kleineren Grundstück vor zwei Jahren seine Immobilie zu Top-Konditionen verkauft hat. Da fragen sich die Auftraggeber nun: Warum hat der so viel bekommen und ich jetzt vergleichsweise so wenig? Dass sich die Zeiten massiv geändert haben, ist bei vielen einfach noch nicht angekommen.
Welche Immobilien sind denn aktuell auf dem Markt?
Berndsen: Vor allem sanierungsbedürftige Objekte aus den 60er, 70er und 80er Jahren werden derzeit auf den Markt geworfen, weil die Erbauer gestorben sind oder im Pflegeheim leben. Und die Kinder beziehungsweise Erben wollen in den meisten Fällen das Haus verkaufen. Und zwar an den besagten 28-Jährigen, der noch einmal gut 200.000 Euro in die Sanierung investieren muss, weil beispielsweise die alte Ölheizung gegen eine Wärmepumpe mit Fotovoltaik auf dem Dach ausgetasucht wird. Das kostet halt alles sehr viel Geld. Das Argument der Verkäufergeneration, dass man früher selbst auf Urlaub und ein zweites Auto verzichtet habe, um sich das Haus leisten zu könnnen, zählt heute nicht mehr. Die neue Generation will das Eigenheim und trotzdem weiter in Urlaub fahren und leben.
Würde es nicht helfen, vieles selbst zu machen?
Berndsen: Es mag den einen oder anderen geben, der vieles kann oder handwerklich begabte Freunde oder Familienangehörige hat. Aber heute kann eigentlich nur ein Meisterbetrieb eine Elektroinstallation durchführen oder eine Heizung einbauen. Man kann vielleicht Fliesen und Laminat legen, aber das hilft am Ende nur vergleihsweise wenig. Damit es also zu einem Hausverkauf an den 28-Jährigen kommt, muss der Preis fallen. Was jetzt kommt, hat mit Psychologie zu tun. Wir brauchen – wie im Urlaub – Zeit, um uns zu aklimatisieren. Um zu realisieren, dass der Preis, den der Auftraggeber haben möchte und der Preis, den der Käufer zahlen kann, so ist, dass beide damit leben können. Wer verkaufen will oder muss, der muss damit klarkommen, dass er einen weniger hohen Kaufpreis aufrufen kann, wie während der Pandemie.
Von welchen Summen sprechen Sie da?
Berndsen: Von Summen zwischen 50.000 und 100.000 Euro. Manchmal auch noch mehr. Ich erinnere mich, dass wir in Flüren vor Jahren eine Immobilie für 375.000 Euro verkauft haben, die zuvor auf 275.000 Euro geschätzt worden war. Man muss aus heutiger Sicht einfach sagen, dass der Immobilienmarkt für drei Jahr durchgeknallt war. Wir hatten während Corona mit seinen Lockdowns und Ausgangssperren nur noch das Gut Wohnen. Das war das Wichtigste damals. Jetzt ist der Immobilienmarkt einfach nur wieder ganz normal. Während vor einigen Jahren Interessenten egal war, ob ein Haus Macken hatte oder nicht, wird heute wieder ganz genau und krtiisch hingeschaut. So nach dem Motto: Das muss aber noch gemacht oder ausgetauscht werden, bevor wir kaufen. Jetzt wird wieder gehandelt, während sich die Interessenten während der Corona-Zeit überboten haben, um den Zuschlag zu bekommen.
Kaufen also junge Leute derzeit keine Immobilien, weil sie es sich einfach nicht leisten können?
Berndsen: So kann man das auch nicht sagen. Sie kaufen, wenn der Verkäufer von seinen Vorstellungen runtergeht. Viele warten deshalb einfach ab. Und gleichzeitig gehen auch die Ansprüche runter.
Auch bezüglich der Lage?
Berndsen: Natürlich.
Also statt Obrighoven, Lackhausen oder Flüren ist man auch mit Schepersfeld oder mit der Feldmark zufrieden?
Berndsen: (lacht) Ja, genauso ist das. Und dann geht der Trend auch dahin, dass man sich eben keine Doppelhaushälfte oder ein Reihenhaus leistet, sondern eine dreieinhalb Zimmer-Wohnung mit Balkon. Um noch einmal auf die Best Ager zu kommen: Die suchen oft nach dem Hausverkauf eine neue Eigentumswohnung, um weniger Arbeit und Ruhe zu haben vor unliebsamen Reparaturen am Haus, die sich oft schon nach 20 Jahren einstellen. Auch wenn der Erlös aus dem Hausverkauf normalerweise nicht reicht, um sich eine neue Eigentumswohnung leisten zu können. Wobei ich sagen muss, dass jeder, der eine Immobilie verkauft, kein Minus macht.
Aber mittlerweile auch keinen großen Gewinn mehr.
Berndsen: Wer vor 40 oder 45 Jahren ein Haus gebaut hat, hat das ja nicht getan, um Provit daraus zu ziehen. Es war ja das Zuhause, in dem mit der Familie Weihnachten und Geburtstage gefiert wurden, Kommunion oder Konfirmation. Man hat das ja für die Familie getan. Deshalb war es sicher auch fast immer richtig, sich in der Phase der Familiengründung ein Haus zuzulegen. Nur wenn diese Zeit vorbei ist und die Kinder ausgezogen sind, kann es dann auch die richtige Entscheidung sein, alles zu verkaufen und sich kleiner zu setzen. Aber das muss jeder selber für sich entscheiden.
Text: Klaus Nikolei